
Skogamor
Sie jammern, wie schlimm es heute ist. Sie jammern, wie hart und grausam das Leben ist. Sie jammern hinter vorgehaltener Hand, aber sie jammern. Sie haben keine Ahnung. Aber ich war dabei. Ich weiss nicht mehr genau wie lange es her ist. Es spielt keine Rolle. Ich erinnere mich daran, als ob es gestern war. Der Krieg. Er hat alles zerstört und alles verändert, auch mich. Ich wurde an die Front geschickt. Alle um mich herum starben. Feinde, Freunde, Bekannte, Unbekannte, Offiziere und Soldaten. Einer nach dem andern starben sie alle. Die einen hatten das Glück eines kurzen Todes. Eine Kugel, ein Stück Schrapnell, eine Explosion. Die weniger glücklichen wurden verbrannt, ertranken oder verbluteten langsam. Diejenigen, die gar kein Glück hatten, diejenigen, die ihre Gasmasken zu langsam anzogen oder im Schlaf vom Gas überrascht wurden, diejenigen, die vom Fallout betroffen wurden, diese armen Hunde litten erbärmlich, bis sie endlich durch den bittersüssen Tod von ihren Höllenqualen erlöst wurden. Aber nicht ich. Ich wurde von keiner Kugel getroffen, war nie zu nahe an einer Explosion und war immer schnell genug mit der Gasmaske. Ich musste alle diese schnellen und auch die jämmerlichen Tode mitansehen. Und keinem konnte ich helfen. Nicht einmal der Fallout der schmutzigen Bomben konnte mir etwas anhaben. Dachte ich zumindest. Nach dem Krieg war ich so ziemlich alleine. Die Zivilbevölkerung fristete ihr Dasein in Bunkern. Die Bunker waren bombensicher, selbstversorgend und darauf ausgelegt, die Auswirkungen eines nuklearen Holocaust zu überdauern. Keine Möglichkeit, die Bunker von aussen zu öffnen, oder mit den Bewohnern Kontakt aufzunehmen. Kein Mensch auf der Erdoberfläche ausser mir. Die Natur befand sich im Zerfall. Die Wirkung der schmutzigen Bomben entfaltete sich langsam aber sicher. Unermüdlich und unaufhaltsam frass sich der Fallout durch die Natur und zerstörte und veränderte sie.
Nach den Grauen des Krieges überraschte mich nicht mehr vieles. Welches mutierte Gemüse essbar war, lernte ich durch Trial-and-Error. Es gab Tage, da wünschte ich mir den Tod, weil die Krämpfe von den Vergiftungen so heftig waren. An anderen Tagen wünschte ich mir den Tod, weil mich die Einsamkeit in den Wahnsinn trieb. Aber jedes Mal, wenn der Tod mich einholte, bei jedem Kampf gegen eine dieser mutierten Bestien siegte das Leben. Ich überlebte. Mehr oder weniger. Ich weiss nicht mehr, wie lange das so ging. Irgendwann krochen die Überlebenden dann wieder aus ihren Bunkern. Zuerst zögerlich, Kundschafter, die die Erdoberfläche erkundeten. Dann immer mehr. Sie wohnten noch in den Bunkern und verbrachten die Tage an der Oberfläche. Aber der Mensch wird sich wohl nie ändern. Gier, Habsucht, Macht und Faulheit bestimmen sein Handeln. Und so ist es nicht verwunderlich, dass es nicht lange dauerte, bis die ersten Raider-Gruppierungen andere Bunker überfielen. Die erste Gruppe, mit der ich in Kontakt kam, war eine solche Raider-Gruppe. Sie waren brutale, unbarmherzige, sadistische Arschlöcher. Aber sie stellten keine Fragen. Nach dem Horror des Krieges und nach der langen Zeit in Einsamkeit konnte mich nichts mehr erschüttern. Ich konnte wieder einmal leben, nicht nur überleben. Und so hinterfragte ich weder die Motivation der Raider noch ihre Methoden. Ich passte mich an. Wegen der Überfälle und Erpressungen der Raider waren die umliegenden Bunker bald verlassen. Die Selbstversorgung dieser Bunker wurde nicht mehr unterhalten und funktionierte innert kürzester Zeit nicht mehr. Die Selbstversorgung im Raiderbunker funktionierte schon lange nicht mehr, da sie sich von den umliegenden Bunkern nahmen was sie brauchten. Und so mussten auch die Raider ihren Bunker verlassen.
Die Umwelt war inzwischen vom Fallout zu einem kargen Ödland zerfressen worden und das Wasser wurde knapp. Immer mehr Sandstürme fegten über das Land, geladen mit Blitz, Donner und unbarmherzigen Winden. Wenn ein Sandsturm kam, verkroch sich jeder vernünftige Mensch in eine Unterkunft. Aber nicht die Raider, denen ich mich angeschlossen hatte. Sie spezialisierten sich auf Überfälle während diesen lebensbedrohlichen Sandstürmen und waren bald weit herum gefürchtet als die härteste und brutalste Raider-Gruppierung. Die Storm-Raider. Je länger ich mit den Storm-Raidern unterwegs war, desto mehr wurde ich zum Aussenseiter. Ich begann die Ruhe nach dem Krieg zu vermissen. Die Ruhe, bevor die Überlebenden aus ihren Löchern gekrochen kamen. Die Ruhe zwischen den Kämpfen mit Mutanten. Mir fehlte der tägliche Kampf ums Überleben in einer unfreundlichen und doch viel freundlicheren Welt als dieser. In einer Welt voller Mutationen, allesamt darauf spezialisiert, menschliches Leben auszurotten. Ich vermisste die ständige Gefahr und den Lebenswillen, der damit einher ging. Aber ich konnte mich nicht absetzen. Ich sah keine Möglichkeit, in dieser Wüste alleine zu überleben. So zog ich mich zurück und redete immer weniger. Alle 10-20 Jahre täuschte ich meinen eigenen Tod vor und kam als neue Person "zufällig" wieder in Kontakt mit den Storm-Raidern. Und alle 10-20 Jahre wurde ich wieder bei ihnen aufgenommen. Das letzte mal, als ich vor 7 Jahren zurückkam, stellte ich mich als Skogamor vor. Namen haben heute nicht mehr die gleiche Bedeutung wie noch vor dem Krieg. Viele Storm-Raider geben sich ihre Namen selbst in der Hoffnung oder Illusion, dass sie ihre Opfer einschüchtern und, dass man sich an ihren Namen erinnert. Dass ein Name eine tiefere Bedeutung haben kann, war keinem bewusst. Es interessierte niemanden, was Skogamor bedeutet.
Eine meiner Lieblingsbeschäftigungen war es, die nächsten Ziele auszukundschaften. Bei diesen Missionen hatte ich meine Ruhe. Irgendwo im Nirgendwo, mit genug Wasser und Essen, ein Fernglas, nur die Wüste und ich. Ich musste mit niemandem reden, niemand redete mit mir und an guten Tagen konnte ich sogar in Büchern lesen, die ich irgendwo gefunden hatte. Diese Überwachungen zeigten mir, dass es bei den Storm-Raidern gar nicht viel schlimmer war als bei anderen Gruppierungen. Neid, Gier, Egoismus und Misstrauen waren weit verbreitet. Der Mensch hatte sich an das Ödland angepasst, aber der Charakter des Menschen hat sich nicht verändert. So fiel es mir meist nicht schwer, mit den gesammelten Informationen zurück zu den Storm-Raidern zu gehen und den nächsten Überfall zu planen. Doch die letzte Überwachungsmission veränderte vieles. Die Gruppierung nannte sich Shelter 666 und war mitten im Gebirge. Sie hatten sich ganz schön was aufgebaut. Im ersten Moment fiel mir die Quelle auf, die Wasser in unglaublichen Mengen aus dem Boden hervorbrachte. Viele andere Storm-Raider-Scouts wären bei dieser Entdeckung direkt zurück ins Lager und hätten damit angegeben. Aber ich wollte meinen Job richtig machen. Und ausserdem wollte ich noch eine Weile meine Ruhe haben. So beobachtete ich die Leute vom Shelter 666.
Es gab früher schon einzelne Lager, bei denen ich mir nicht sicher war, ob sie überfallen werden sollen. Teilweise ging es ums Überleben und es war nötig, teilweise meldete ich mich mit gescheiterter Mission zurück, um die Lager zu schützen. Aber noch nie zuvor wollte ich mich einer Gruppierung anschliessen. Es bestand immer das Risiko, dass die Storm-Raider die Gruppierung finden würden und ich am falschen Ende eines Gewehrlaufes aufwache. Aber der Shelter 666 war gut versteckt und einigermassen gut ausgebaut. Ich sah die Schwachstellen in der Verteidigung und hätte den Storm-Raidern zu einem erfolgreichen Überfall verhelfen können. Aber ich sah auch, wie sich die Bewohner des Shelter 666 verhielten. Es war nicht viel von Gier, Egoismus, Neid und Misstrauen zu sehen. Sie waren fröhlich und freundlich zueinander. Streitigkeiten wurden in organisierten Kämpfen beigelegt und anschliessend gingen sie zusammen in die Tanke. Ich weiss heute noch nicht, ob es am Verhalten der Shelter-Bewohner lag, oder ob es einfach nur ein Bauchgefühl war. Für mich war klar, dass der Shelter kein Ziel für die Storm-Raider war, trotz der reichen Beute, die hätte gemacht werden können. Alleine mit dem Inhalt des Schreins hätte ich zum König der Storm-Raider werden können, ganz abgesehen von der Quelle. Aber ich wollte nicht zurück zu den Storm-Raidern. Ich wollte mich dem Shelter 666 anschliessen. Und so täuschte ich (hoffentlich) ein letztes Mal meinen Tod vor, um mit den Storm-Raidern abzuschliessen. ~Skogamor/Säm
Kàli
Wie aus dem Nichts stand der schwarz gekleidete Riese eines Tages vor unserem Tor. Nicht einmal die Stimmen hatten ihn wahrgenommen. Er sprach mit dem rauhen, tiefen Tonfall eines Menschen, der es bevorzugte zu Schweigen. Ich erfasste etwas von «Storm-Raidern» und Schwachstellen in der Shelterverteidigung. Er schien sich uns anschliessen zu wollen. Sein Name sei Skogamor. Da meine Stimmen stumm blieben, beriet ich mich lange mit Zerda. Wir waren uns einig, dass wir die Hilfe von dem Riesen gebrauchen könnten. Ich führte ein altes Ritual an der Quelle durch und dann waren die Zeichen klar. Skogamor führte nichts Böses im Schilde. Seit diesem Tag lebt er im Shelter. Gerne alleine und weiterhin verschlossen, aber jederzeit wachsam, die Gemeinschaft zu schützen. Es dauerte nicht lange und er übernahm die Leitung der Shelter-Aufsichtstruppe.
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